Die Waggons in Stuttgart sind ein absoluter Volltreffer: Nicht nur, dass Fides und Marco zu den nettesten Veranstaltern zählen, die wir bisher getroffen haben, sondern auch die Location an sich ist an Originalität kaum zu überbieten. Die Waggons sind eine Art Wagenburg aus ausrangierten Eisenbahnwagen. In manchen Waggons leben Leuten, in einigen befinden sich Ateliers von Künstlern, es gibt mehrere Cafés und Bars, einen Partywaggon und eine selbstgebaute Open Air-Zirkusmanege mit La Strada-Atmosphäre. Das ganze Gelände atmet den Flair eines alten Jahrmarkts. Da es zumindest auf dem Kalender noch Sommer ist, soll die Vorstellung abends unter freiem Himmel in der Zirkusmanege stattfinden. Leider liegt die Regenwahrscheinlichkeit für den Abend laut Wetterprognose aber bei 95%, deshalb entscheiden wir uns frühzeitig, die Vorstellung in den Kinowaggon der Gruppe Second Take zu verlegen. Schnell stellen wir fest, dass es gar nicht so einfach ist, das gesamte Equipment in einem mit ansteigenden Tribünen ausgestatteten Eisenbahnwaggon unterzubringen – dazu kommt, dass die PA eigentlich für den Open Air-Auftritt gedacht war und nun vollkommen überproportioniert den halben Bühnenraum einnimmt. Um trotz der Enge des Raumes eine anständige Projektionsfläche nutzen zu können, verhängen wir die gesamte Bühnenfront mit einer Gaze-Leinwand (ein räumlicher Effekt, der uns so gut gefällt, dass wir ihn danach fest in die Inszenierung übernehmen). Die Vorstellung abends macht wegen der ganzen unbekannten Rahmenbedingen großen Spaß und rockt. Anschließend ist Party im Café-Waggon nebenan – dort lernen wir einen Stuttgarter mit US-amerikanischem Migrationshintergrund kennen, der uns, als er erfährt, dass wir aus dem Ruhrgebiet stammen, die fantastische, verworrene und unglaublich lange Lebensgeschichte seines Großvaters erzählt, deren Dreh- und Angelpunkt aus Gründen, die sich uns nicht erschließen, eine Kirche im Stadtteil „Gelsenkirchen-Schalke 04“ ist. Wir nutzen eine Pinkelpause, um uns heimlich vom Gelände zu entfernen und fallen ins Bett.
Schade, schade, dass auch die Waggons bald den Stuttgart21-Plänen zum Opfer fallen sollen. Im Augenblick sind die Initiativen auf dem Gelände der Waggons im Ungewissen darüber, wie lange sie dort noch weitermachen können. Solltet ihr also demnächst nach Stuttgart kommen, nutzt die Chance, diesen einmaligen Freiraum zu besichtigen, solange er noch existiert!